Vertraute Sprache

Masha Gessen, Frankfurter Rundschau:

Vor circa einer halben Stunde erhielt ich eine Mail von Imme Scholz, einer der Präsidentinnen der Heinrich-Böll-Stiftung, in der sie sich für die negative Dynamik entschuldigt, die der Vorfall ausgelöst hat.

Da heißt es: „Bitte seien Sie versichert, dass wir nicht in Frage stellen, dass Sie den Preis erhalten. Im Gegenteil, wir teilen das Lob und den Respekt für Ihre Arbeit (…) Aber, wie Sie in Ihrem Artikel im New Yorker bereits vorhergesehen haben, hat sich die öffentliche Debatte darüber in Deutschland sehr schnell ins Negative gewendet.

Die Böll-Stiftung in Bremen sah sich unter Druck gesetzt, von der für morgen Abend geplanten Zeremonie zurückzutreten. Wir haben uns dieser Entscheidung angeschlossen, da sie unsere Partner sind, und wir akzeptieren die starke Kritik, die wir dafür nun in Deutschland und auch international erhalten haben.“ Diese Art Sprache ist mir extrem vertraut.

Woher?

Aus Russland, aus der Sowjetunion. Und, entschuldigen Sie, jetzt mache ich es schon wieder! Ich vergleiche. Diesmal das heutige Deutschland mit dem totalitären Deutschland. Ich will nicht behaupten, dass Deutschland heute ein totalitäres Land ist. Doch bestimmte Gewohnheiten haben so eine Art, ruhend weiter zu bestehen und dann plötzlich wieder aufzutauchen.

Ich habe ein ganzes Buch über totalitäre Gewohnheiten in Russland geschrieben und wie sie sich heute fortschreiben. Da ist eine spezifische Dynamik am Werk. Totalitäre Regierungen sind sehr gut darin, sie zu erzeugen, es ist gewissermaßen ihr Lebenselixier. Es geht darum, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie etwas unter den gegebenen Umständen Unmoralisches tun müssen, um anständige Menschen zu bleiben.

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