Simon Strauß, :
Bernie Sanders ist in der Hauptstadt. Der kauzige US-Senator für Vermont, der seinen größten Moment wahrscheinlich bei der Vereidigung Joe Bidens hatte, als er mit Wollhandschuhen verbittert auf einem Klappstuhl saß und sich nicht um eine besonders kooperative Körperhaltung bemühte. Sanders ist an diesem Freitagmorgen zu Gast bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
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Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken hatte beim neuen Twitter-Ersatz Bluesky vorgestern erst freudig mitgeteilt, dass sie sich mit Sanders treffen wolle, um „über den Kapitalismus zu reden“, war dann aber von dem zum Judentum konvertierten Publizisten Eliyah Havemann mit Blick auf israelkritische Äußerungen von Sanders hart angegangen worden: Den Namen Sanders zu lesen erzeuge bei ihm „einen Würgereiz“. Daraufhin strich Esken den Termin mit Sanders aus ihrem Kalender, weil er „die Chance gehabt“ hätte, „seine früheren Relativierungen aufzugeben und sich klar an die Seite Israels und gegen den Terror der Hamas und anderer zu stellen. Doch das tut er nicht. Immer noch nicht. Unfassbar. Ich sage ab.“
Als Beleg zitierte sie eine Stellungnahme vom 11. Oktober, in der Sanders die Hamas-Massaker verurteilt, aber auch auf die seiner Ansicht nach völkerrechtswidrige israelische Blockade des Gazastreifens und die in Aussicht stehende humanitäre Katastrophe für die Zivilbevölkerung dort hingewiesen hatte. Unabhängig davon, dass ein persönliches Treffen mit Esken laut Sanders offenbar gar nicht geplant war, sondern die SPD-Vorsitzende nur zu einer Buchvorstellung eingeladen war, zeugt der Vorgang von der hoch nervösen Stimmung im Land. Sie ist mehr als verständlich, führt aber zu moralischem Übereifer: Einem jüdischen Senator aus den USA, dessen Familienmitglieder im Holocaust ermordet wurden, öffentlichkeitswirksam das Gespräch aufzukündigen kann nicht als gescheite Solidaritätsgeste gewertet werden.